Fiktive Schadensabrechnung und Feststellungsinteresse
Im Verkehrsrecht spielt die Frage, ob Geschädigte einen Unfallschaden fiktiv abrechnen dürfen, seit Langem eine große Rolle. Dabei geht es um die Wahlfreiheit des Geschädigten zwischen einer tatsächlichen Reparatur oder einer Abrechnung allein auf Grundlage eines Sachverständigengutachtens. Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 8. April 2025 – VI ZR 25/24) hat nun klargestellt, dass auch bei fiktiver Abrechnung ein rechtliches Interesse besteht, die Ersatzpflicht des Versicherers für künftige Schäden feststellen zu lassen.
Sachverhalt
Bei einem Parkunfall wurde ein 13 Jahre alter Pkw beschädigt. Die Haftung der gegnerischen Haftpflichtversicherung war unstreitig. Die Geschädigte ließ das Auto jedoch nicht reparieren, sondern machte die voraussichtlichen Reparaturkosten auf Basis eines Gutachtens geltend. Da die Versicherung nur teilweise regulierte, klagte sie auf vollen Schadenersatz und beantragte zusätzlich die Feststellung, dass der Versicherer auch für künftige Schäden – etwa Mehrwertsteuer oder Nutzungsausfall im Falle einer späteren Reparatur – einzustehen habe. Während das Amtsgericht diesem Antrag stattgab, verneinte das Landgericht Landshut ein Feststellungsinteresse, da die Klägerin derzeit keine Reparatur plane. Der Bundesgerichtshof hob diese Entscheidung auf.
Die fiktive Schadensabrechnung
Die fiktive Schadensabrechnung ist in § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB verankert. Danach kann der Geschädigte statt Naturalrestitution auch den hierfür erforderlichen Geldbetrag verlangen. Er darf also die im Gutachten kalkulierten Reparaturkosten beanspruchen, ohne die Reparatur tatsächlich durchführen zu müssen. Umsatzsteuer wird dabei allerdings nur ersetzt, wenn sie tatsächlich anfällt. Der Geschädigte hat die Wahlfreiheit: Er kann den Schaden fiktiv abrechnen und sich erst später für eine konkrete Reparatur entscheiden, um dann weitere Ansprüche – etwa auf Mehrwertsteuer oder Nutzungsausfall – geltend zu machen.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Der BGH stellte klar, dass bereits die Möglichkeit einer späteren konkreten Abrechnung ein berechtigtes Feststellungsinteresse begründet. Ein Geschädigter muss nicht nachweisen, dass er fest entschlossen ist, das Fahrzeug zu reparieren. Es genügt, dass die Option einer Reparatur noch besteht. Ein Feststellungsantrag sichert damit nicht nur den Anspruch auf zukünftige Leistungen, sondern dient auch dazu, eine drohende Verjährung zu verhindern.
Bedeutung für die Praxis
Das Urteil stärkt die Position Unfallgeschädigter. Wer seinen Schaden zunächst fiktiv abrechnet, bleibt flexibel und kann später ohne Rechtsnachteile zur konkreten Abrechnung übergehen. Versicherer können sich nicht darauf berufen, dass ein Feststellungsinteresse fehle, solange keine konkrete Reparaturabsicht besteht. Damit wird die Rechtsprechungslinie bestätigt, nach der die Dispositionsfreiheit des Geschädigten im Zentrum steht.
Quelle: Urteil des Bundesgerichtshofs vom 08.04.2025 – VI ZR 25/24
- Von Marius Pflaum, 
DIRO AG